Dorfgeschichte(n)

Auf Leben oder Tod - Zwei Waldbacher Kriminalprozesse

Im Stuttgarter Landesarchiv Baden-Württemberg lagern die Kriminalakten des württembergischen Oberrats von 1513-1806. Darin befinden sich zwei jetzt erst für unsere Gemeinde entdeckte Akten mit ausführlichen Protokollen über zwei todeswürdige Malefizfälle ganz verschiedener Art.

Der Waldbacher Hexenprozess von 1670

von Peter Lucke

Der Nachtwächter Andreas Pötzel wurde als Hauptzeuge einer unerhörten Begebenheit, die sich in dem Flecken Waldbach im württembergischen Amt Lichtenstern am 19. Oktober des Jahres 1670 ereignete, mehrfach vernommen. Was er erlebte und wiederholt zu Protokoll gab, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

In jener milden Samstagmitternacht am 19. Oktober schrie ich am Haus des Metzgers Kurz die zwölfte Stunde an. Es war nicht stockfinster, jedoch auch kein Mondschein am Himmel. Am Zaun des Küchengärtleins seiner Nachbarin, ungefähr 30 bis 40 Schritt entfernt, hörte ich etwas rascheln und raspeln, und als ich mich näherte, traf ich dort ein Weibsbild gänzlich bloßen Leibes an, das über den Zaun heraussteigen wollte. Obgleich ich sie etliche Male angeredet hatte, gab sie keine Antwort. Danach weckte ich den Dorfbüttel, meinen Bruder Georg, auf. Wir zündeten ein Licht an, und Georg erkannte in der seltsamen Frau sofort die Metzgersmagd, die an ihrem Leib, ja vom Hals über den ganzen Rücken hinab bis vollends zu den Füßen, ganz rußig und geschwärzt war. Es grauste uns, denn aus lauter Scham und Angst vor Sünde hätte es uns angestanden, die Augen davor verschließen. Auch meinem Bruder antwortete sie nach mehrmaliger Befragung, was sie also nackt und bloß allda zu tun habe, mit keiner Silbe. Ich zog aus dem Gartenzaun den Zaunstecken und führte sie ans Haus ihres Meisters. Nach etlichmaligem Klopfen zeigte sich die Metzgersgattin noch ganz verschlafen an der Tür und erschrak heftig, als sie ihre Magd in diesem Zustand und schlotternd vor Kälte vor sich sah.

Maria Elisabetha Kurz, die Metzgersgattin, wurde ebenfalls gründlich verhört und gab, immer noch aufgeregt, folgende Auskunft: Nach dem ersten Schrecken holte ich die schnatternde und zitternde Maria herein an den noch warmen Ofen in der Stube und warf ein schwarzes Tischtuch über sie. Wachte oder träumte ich? Jetzt erst nahm ich wahr, dass sie am Rücken etwas wüst und ungestalt aussah, kann aber nicht sagen, woher.

Hier schließt sich die Aussage ihres Mannes an: Ich bin vom Krach im Nachbargarten aufgewacht, ging aber nicht sogleich dorthin, sondern zuerst in den Stall, um nach dem Vieh zu schauen. Da es sich nicht auffällig verhielt, kam ich beruhigt wieder zurück und fand Maria in der Stube ganz stäfferig, wie wenn der Satan lebendig in ihr wohne. Wie wild tobte sie in der Stube, das Maul übereinander gekrümmt, und gebärdete sich so ungestalt, dass man sich fürchten musste. Ich befragte sie hart, wie sie aus dem Haus gekommen sei, da doch der Fensterladen der Kammer immer noch fest verschlossen sei. Da antwortete sie verängstigt, einer habe sie bedrohlich verfolgt. Deshalb sei sie Hals über Kopf geflohen. Sonst wisse sie nichts mehr.

Maria Elisabetha fuhr nun fort: Ich leuchtete ihr dann mit Kerzenlicht nach oben in die Kammer, wo unser ältestes Töchterlein noch im tiefen Schlaf lag. Etliche Male versuchte ich es mit Zuschreien und Zupfen, die Kleine zu wecken und zu mir zu nehmen. Aber es war, als hätte sie einen Schlaftrunk bekommen. Als sie schließlich doch erwachte, nahm ich sie mit zu mir nach unten. Maria fiel nun offenbar in einen tiefen Schlaf und erwachte erst lange nach dem sonntäglichen Gottesdienst zur Mittagszeit. Da brachte ich ihr die Suppe ans Bett und musste sie zum Aufstehen ermahnen.

Über diesen unerklärlichen Vorfall zur mitternächtlichen Stunde ärgerte sich der Metzger so sehr, dass er seine Magd gleich nach dem Essen ausbezahlte und ihren Dienst barsch beendete. Man möge sie bei solcher Beschaffenheit nicht länger im Hause dulden. Sie bettelte zwar noch, bleiben zu dürfen, denn sie habe ja dem Mädchen nichts Böses beigebracht. Aber der erboste Metzger blieb bei seinem Wort.

Auf die Frage, wie sich die Magd am Tag zuvor verhalten habe, gab die Metzgersgattin zur Antwort: Maria hat an selbigem Tag nicht über Krankheiten oder Anfälligkeiten geklagt, sondern ist wie immer ihrer Arbeit nachgegangen. Nach dem Nachtessen hat sie noch gefegt und gespült und ist danach wieder in die Stube gekommen Dort hat sie sich neben den Ofen gesetzt und noch eine Weile mit uns einen Schwatz gehalten. Dabei erzählte sie, dass sie dem Mädchen versprochen habe, am nächsten Tag, dem dritten Sonntag im Oktober, nach Pfedelbach zur Kirchweih zu gehen. Abends um neun Uhr sagte ich dann zu ihr: So, jetzt geht ihr beide ins Bett! Das Mädchen ist gleich eingeschlafen und hat nichts davon bemerkt, dass und wie sich Maria nachts aus der Kammer entfernt hat. Sie ist erst wieder aufgewacht, als ich sie gewaltsam wachrüttelte.

Diese Aussagen machten die Zeugen des mitternächtlichen Vorfalls aber erst über zwei Monate später, denn es gab zunächst niemanden, der sich trotz Verdachtsmomenten zu einer förmlichen Anzeige bemüßigt fühlte. Maria musste schweren Herzens das Metzgershaus in Waldbach verlassen. Aber wo sollte sie sich hinwenden? Ihr erster Gedanke war: nach Pfedelbach, wo ihre drei Halbbrüder lebten und wo sie in den letzten 10 Jahren in verschiedenen Häusern als Magd gedient hatte. Auch besaß sie dort noch eine Truhe mit verschiedenen Habseligkeiten.

Diese gespenstische, ja unheimliche Geschichte um die Metzgersmagd Maria sprach sich im Flecken Waldbach schnell herum, denn mehrere seltsame Umstände sorgten dafür, dass das, was nicht mit rechten Dingen zugegangen zu sein schien, nur mit Hexerei erklärt werden konnte.

Fragen über Fragen stellten sich die Leute in dem abgelegenen Dorf, später aber auch die zuständigen Behörden: Warum war Maria so schwarz und konnte, obwohl Haustüre und Fensterladen fest verschlossen waren, in einen ebenfalls abgeschlossenen Küchengarten gelangen? Offenbar doch nur durch den Kamin. Deshalb muss sie auch so rußig gewesen sein! Warum landete sie so weit vom Fenster entfernt? Nur weil sie mit Geisteskraft geflogen, ja auf einer zweizinkigen Ofengabel ausgefahren sein musste, wie anderwärts die Hexen auf einem Besen. Warum hat das Töchterlein der Metzgerin, das neben der Verdächtigen in der Kammer lag, so tief geschlafen, so dass man es "über alles Zuschreien und Ritheln aus dem Schlaf" kaum wach bekam? Was für eine Frage: Weil ihr ein Hexentrank verabreicht worden sein musste. Und warum hielt man Maria für eine Hexe? Weil sie, klein und verhutzelt, auch so aussah und weil ihre stille und einfältige Mutter, wie man sich plötzlich wieder erinnerte, auch schon eine Hexe gewesen war. Aus welchem Grund hat wohl Maria auf all die Fragen des Nachtwächters geschwiegen? Weil sie partout keiner Menschen Seele verraten wollte, dass und wie sie mit dem Teufel im Bunde stand!

Immerhin dauerte es über zwei Monate, bis diese nicht verstummen wollenden Gerüchte über den nächtlichen Vorfall offiziell untersucht und damit für die zuständige Schirmvogtei Weinsberg und die herzogliche Behörde in Stuttgart, den Oberrat, ein amtlicher Kriminal-, ja ein Malefizfall wurde, bei dem es um ein todeswürdiges Verbrechen ging. Erst am 28. Dezember 1670 musste der hochfürstliche Klosterhofmeister zu Lichtenstern, Johann Beckher, den Fall amtlich untersuchen, denn es gab nun auf einmal eine schriftliche Denunziation, so dass er gleich nach dem Ende der Christfestfeiertage die beschuldigte Maria im Waldbacher Zucht- und Narrenhäuschen in Haft nehmen ließ. Von dort aus wurde Maria im Waldbacher Amtshaus des Klosters sogleich vom Hofmeister scharf examiniert, und zwar in Anwesenheit des Pfarrers Johann Jacob Sutory, des Schultheißen Alexander Wild und der Gerichtsverwandten Hans Plappert, Wilhelm und Stoffel Würth und des vereidigten Amtsschreibers Johann Peter Strauß.

Maria konnte aber auf die inquisitorischen Fragen nur wenig vorbringen: Ich heiße Maria, wer aber mein Vater war und wie er geheißen hat, weiß ich nicht, auch nicht, wie alt ich bin. Die Frau des Amtsschreibers in Waldbach hat mich aus der Taufe gehoben. In den Kriegswirren hat man mich als kleines Kind meiner Eltern beraubt. Dann bin ich nach Pfedelbach gekommen und dort aufgewachsen. Ich habe nur noch drei Stiefbrüder, Hans, Michael und Christoph Schanzenbacher mit Namen. Gespartes Geld habe ich keines, auch keinen ausstehenden Lohn.

Nachdem sie dann mit einem Eid auf die reine Wahrheit verpflichtet worden war, antwortete sie auf die Fragen zur Sache: Aufgrund eines Anfalls, aus Blödigkeit des Kopfes, bin ich unbesonnener Weise aus dem Kammerladen gesprungen. Ich habe die Fallsucht, und es haben wieder die Gichter in meinem Leib gewirkt. Wie es genau zugegangen, weiß ich nicht. Meine Krankheit hat es verursacht. Auch ein Doktor in Öhringen hat das Leiden vor sechseinhalb Jahren schon untersucht, mir aber nicht helfen können.

Da die Tochter des Hans Reh häufiger im Hause des Waldbacher Bürgers Michael Preuninger verkehrte, wurde auch er bei der Befragung hinzugezogen: Meine Frau und ich haben Maria gleich nach diesem nächtlichen Vorfall zur Rede gestellt und sie gefragt, warum sie nackt und mit schwarzem Rücken aufgefunden worden, vor allem, wie sie aus dem versperrten Kammerladen und der verschlossenen Haustüre herausgekommen sei. Sie antwortete, es habe sie einer erschlagen wollen, deshalb habe sie sich so geängstigt, dass sie zum Fenster der Schlafkammer herausgesprungen sei. Als wir ihr deutlich machten, dass das bei so einem verrammelten Haus nicht möglich und auch der Nachbargarten viel zu weit entfernt sei, dass man einen solchen Sprung hätte tun können, schwieg sie einfach wie verstockt und sagte nichts mehr.

Aus allem hörten die Waldbacher Untersuchungsrichter immer deutlicher heraus, was die vorher schon umlaufenden Gerüchte zu wissen glaubten, dass es sich hier nämlich um nichts anderes als um Hexerei handeln könne. So wollten sie denn jetzt genauer wissen, mit welchem Instrument ihr Sprung in die Tiefe geschehen sei. Etwa mit einer Ofengabel? Ob zum Schaden von Mensch und Vieh? Ob sie der Heiligen Dreifaltigkeit abgeschworen und Stigmata oder Malzeichen am Leib empfangen habe? Ja, ob sie vom leidigen Satan angestiftet und sogar vom bösen Geist getauft worden sei?

Die Beschuldigte verteidigte sich einsilbig: Die Schwärze des Rückens rührt vom Blut her. Weil ich mich mit den Zähnen auf die Zunge gebissen habe, bin ich so besudelt worden.

Nach dieser ausführlichen Befragung stimmte man auch darin überein, dass Maria an keiner Gicht, keiner fallenden Krankheit oder Hauptblödigkeit leide, sondern an dem gar üblen Prädikat, die Kirch und das Heilige Abendmahl unfleißig zu besuchen. Deshalb sah sich Hofmeister Beckher veranlasst, Maria wieder ins Ortsgefängnis einzusperren und drei Tage später, am 31. Dezember, das Inquisitionsprotokoll durch einen Boten seinem Schwager und Nachbarn, dem auch als Schirmherrn für das Kloster Lichtenstern zuständigen Weinsberger Schirmvogt Johann Elias Waldeisen, zukommen zu lassen. In einem Begleitschreiben über diesen "abscheulichen und gefährlichen Casus" merkte er an, dass diese Metz [Hure] schon lange eines verdächtigen Wandels beschuldigt werde. Nach der fristlosen Entlassung durch Metzger Kurz sei sie nach Pfedelbach gegangen, dort aber, nachdem sich das Gerücht der Hexerei verbreitet hatte, auch nicht mehr geduldet worden. Man habe sie fortgeschickt und ausgeschafft, so dass sie wieder in Waldbach aufgetaucht sei. Sie musste aber beim Pfedelbacher Hofprediger eine schriftliche Bescheinigung über ihr Verhalten abholen, wobei dieser zuvor beim Adolzfurter Pfarrer Kundschaft einholte, der wiederum seinen Waldbacher Kollegen Sutori befragen musste. Sogar der "Herr Speziali" aus Neuenstadt erhielt darüber Bescheid.

Der Weinsberger Vogt schickte am Tag danach zwei bewaffnete Musketiere los, um die als Hexe Verdächtige abzuholen. Da es aber bei ihrer Ankunft um fünf Uhr schon dunkel war und sie in diesem obskuren Fall Angst hatten, spät in der Nacht zurückzukehren, mussten sie sich in Waldbach im Wirtshaus einquartieren, was mit 48 Kreuzern zu Buche schlug. Maria hatte die letzten Nächte im örtlichen Zucht- und Narrenhäuschen verbracht. Als sie am 2. Januar ihre Morgensuppe bekam, gebärdete sie sich recht sonderbar, und in der Rathausstube, wohin sie der Hofmeister bringen ließ, war sie nicht wieder zu erkennen. Sie führte sich so abscheulich auf, geradezu tollwütig wie das besessene Mägdlein vom benachbarten Eberstadt, von dem man immer noch redete und wisperte, so dass alle Anwesenden ein Grausen befiel, weshalb sie von zwei Männern bewacht werden musste, bis die Musketiere sie abholten.

Nachdem auch in den benachbarten Dörfern Hexengerüchte umliefen, musste immer wieder bei den unmittelbar Betroffenen nachgeforscht werden. In Schwabbach soll Metzger Kurz davon erzählt haben, dass seiner Frau in Anwesenheit der Magd beim Stillen keine Milch mehr geflossen sei. Die Ursache könne sich jeder denken. Hierüber befragt, rückte der Meister von dieser Darstellung ab; wahr daran sei, dass Maria am anderen Morgen, als er ihr davon erzählt, gelacht und gesagt habe, dass die Muttermilch bald wieder kommen werde. Was denn auch geschah. Im Übrigen habe er sie schon etliche Male eine Hex geheißen, aber wie man das halt zuweilen bei einer störrischen Magd tue. Er jedenfalls habe in Schwabbach keine Hexengerüchte verbreitet.

In Weinsberg angekommen, steckte man Maria Reh ins örtliche Weibergefängnis. Bevor der Weinsberger Vogt Waldeisen die Hauptvernehmung ansetzte, informierte er den Stuttgarter Oberrat durch das Waldbacher Protokoll und wartete auf Instruktionen. Diese erhielt er auch am 14. Januar. Darin wurde er aufgefordert, bei der Verdächtigen unter ernster Androhung einer verschärften Inquisition darauf zu dringen, ein Bekenntnis abzulegen. Außerdem müssten verschiedene Fragepunkte bei der Hexeninquisition so genau wie möglich inquiriert werden. Man fragte nach Salbenmixturen oder Schmiere, ebenso nach Pulver oder Gabeln. Inspectio loci, also die Inaugenscheinnahme des Tatorts, lag den Herren besonders am Herzen: Ob derselbe wirklich "verwielet und verwüstet, vermurstet und verwünslet" und von ihrem Liegen und Herumwälzen durch ihren eigenen Squatio (Schmutz) so besudelt, oder ob der Garten nur mit Füßen "also beträppt" gewesen sei. Ob es stimme, dass die Besitzerin des Gärtleins, wie sie behauptete, das kalte Grausen überkam und sämtliche Gartengewächse an besagter Stelle so makuliert und verderbt waren, dass alles umgeschort und neu bepflanzt werden müsse.

Über die Vernehmung Marias und die penible Untersuchung des Tatorts berichtete der Weinsberger Vogt am 6. Februar 1671 dem "durchleuchtigsten" Herzog Eberhard III. zu Händen des Oberrats folgendes: Das Haus und den Garten betreffend habe man droben in Waldbach gleich nach der behördlichen Aufforderung vom 27. Januar die Untersuchung vorgenommen und die Untersuchungskommission zwei Tage später hingeschickt. Der Kammerladen, aus dem sie gestürzt ist, liegt nicht zum Garten hin, so dass sie um die Ecke herum gesprungen sein muss. Vom Laden bis zur verwüsteten Stelle sind es, genauestens mit dem Faden gemessen, 21 Ellen [13 Meter] und von oben bis zum Erdboden 5 ¼ Ellen [3,20 Meter], so dass sich die Verdächtige während des Sprungs in der Luft rechtswärts drehen musste. Man hat sie am Zaun stehend angetroffen, nicht liegend. Der Zaun war so "behäb" [bhäb, dicht], dass man ihn ohne Ausreißen des Zaunsteckens nicht überwinden konnte, denn, so der Wortlaut des Protokolls: "Der Zaun ist beheb und genau aneinander gezäunt, dass kein Hammer dazwischen hinein schleifen könnte, es wäre denn, sie flöge oben über den Zaun hinein." Das Gartentürlein war ordentlich, aber nur mit Weiden zusammen geflochten. Sie hatte zwar einige Gerten abgebrockelt, aber kam nicht ohne Hilfe des Nachtwächters heraus. Die andere Frage bezog sich auf ihren schwarzen Rücken. Wenn es schon Blut durch einen Zungenbiss war, das sie beschmutzte: Hat man Maria dann auch blutrünstig angetroffen? Niemand in Waldbach kann sich vorstellen, dass die Schwärze vom Blut kommt. Auch ihre Meisterin, Elisabetha Kurz, sagte ausdrücklich, dass Maria sich nackt wieder ins Bett gelegt habe. Am andern Tag sei jedenfalls nichts makuliert und besudelt gewesen.

Zur Vernehmung gehörte auch hier die Auskunft über den Leumund der Verdächtigen. Deshalb wurde Marias Vorleben in Pfedelbach minutiös einer methodisch auf die Sache abgestellten Untersuchung unterzogen. Alle ehemaligen Dienstherren bekamen zur gewissenhaften Beantwortung die gleichen acht Fragstücke vorgelegt: 1.) Wie lang besagte Maria sich bei ihm in Diensten oder sonsten augehalten? 2.) Was sie für ein Christentum - Leben und Wandel - geführt? 3.) Ob dieselbe auch fleißig gebetet, zur Kirche und dem Heyligen Abendmahl gegangen? 4.) Ob er sie nicht für verdächtig gehalten, dass sie eine Hexe sei? 5.) Oder dergleichen von anderen gehört und woher? 6.) Was er ihr das Jahr zu Lohn gegeben und davon noch schuldig sei? 7.) Bei wem sie sonsten noch Liedlohn oder ander Geldt und wie viel zu fordern habe? 8.) Was sie von ihrer Mutter und nach deren Tod bekommen?

Die Pfedelbacher Bürger, alle mit gutem Leumund, waren sich dabei nicht immer einig. Die einen meinten, Maria habe sich nichts zuschulden kommen lassen; man habe nichts Unrechtes von ihr gehört. Sie sei in die Kirche gegangen. Einer sagte, er habe sie für ein einfältiges Mensch gehalten, mit der fallenden Krankheit behaftet. Wieder einer glaubte zu wissen, sie habe die Kirche und das Heilige Abendmahl unfleißig besucht. Bei dem Gerichtsverwandten David Löffler hatte Maria fünf Jahre zuvor gedient und in der Kammer seiner Kinder, allerdings in einem eigenen Bett, geschlafen. Manchmal habe sie da wie eine Sau gerumpelt und gegrunzt, so dass die Kinder erschraken und am Morgen ängstlich berichteten: "O Vatter, die Magd hat heint wieder seltsam gethon."

Erfolge bei den Nachforschungen konnte der Waldbacher Vogt und Hofmeister Beckher nicht vorweisen. Deswegen suchte er sich einen Verdächtigen, ja Schuldigen, wofür sich Metzgermeister Kurz eignete, weil er sich bei der Hexenjagd eher zurück hielt. Nachträglich behauptete der Hofmeister gar, dass er "dem allhießigen Metzger Hanns Kurtzen nit gebillichet noch für guth gehalten, dass er dieße seine gewesene Magdt ohne mein Vorwissen, gleich nach erzeigten facto forthgeschafft habe". Deshalb habe er ihm "die Anstalt gemacht, dass sobalden solche Metz wieder in allhießigen flecken kommen, Ich mich deren Gegenwarth gewiss versichert mache und die Sache gründlich examiniren möchte." Denn "es wäre besser gewest", schreibt er dem Weinsberger Kollegen, "dass ihr letzter Meister sie nit also gleich fortgeschafft, sondern so lang im Haus behalten hätte, bis sie zuvor ordtentlich examinirt worden wäre, da sie noch voller Angst und Forcht und Scham gesteckht, da sie dann in solchem Schreckhen ehnder [eher] außgeschlagen hätte, wie es mit ihr zugangen wär". Denn nun habe "sie sich in Mittler Zeit auf allerley an Ausflüchten bedenken können." Mit anderen Worten: Man hätte die Verdächtige unmittelbar nach der Tatnacht, nach dem frischen Eindruck des Geschehenen, streng befragen müssen. Aber warum hat der schlaue Klosterhofmeister und Waldbacher Oberherr nach der Tatnacht Monate untätig verstreichen lassen, ohne die Sache selbst in die Hand zu nehmen?

Die mehrfache Vernehmung der Delinqentin in Weinsberg hatte immer noch nichts Rechtes erbracht. Gewaltandrohung nutzte bei Maria freilich gar nichts. Man möge ihr den "Leib verzerren", wie man wolle, meinte sie trotzig. Wurde ihr die Streckbank nur gezeigt, oder hatte sie schon Bekanntschaft damit gemacht? Immer wieder gebärdete sie sich im Gefängnisturm zum Schrecken der Wächter, als sei sie vom bösen Geist besessen. Maria zeigte sich verstockt und konnte keine richtigen Antworten geben. Auch ein Versuch im Guten war ergebnislos verlaufen. Pfarrer Wemwein hatte durch den Stadtknecht bei Maria im Gefängnis anfragen lassen, ob sie die Reichung des Heiligen Abendmahls begehre. Sie stimmte zu und wurde ins Nachbarhaus geführt, wo der Stadtpfarrer alles bereitet hatte. Zuvor allerdings forderte er Maria auf, ihre Sünden zu bereuen. Wenn sie dem leidigen Satan abschwören wolle, könne Gottes Wort ihr den richtigen Weg zur Hilfe weisen. Denn wenn sie unbußfertig als Hexe sterbe, sei ihr die Hölle gewiss. Aber sie tat so, als ob sie stumm und taub und ganz und gar verstockt wäre, und es wollte dem Geistlichen nicht gelingen, sie in der warmen Wohnstube zur Reue und Umkehr zu bewegen. Jedenfalls war ihr Auge bei der Sünden- und Seelenbefragung "von keiner Träne nass".

Trotz allem zeigte der Vogt in seinem Schreiben an den vorgesetzten Oberrat schließlich sogar Mitleid über das, wie er es nannte, "alte, hässliche, von Gestalt dürre Weibsbild, das fast nur wie ein Zwerglein groß, ja fast nur wie ein Schatten der Wand dastand". Trotz ihrer Verstockung regte er untertänigst an, "auf weiteres Bekenntnis bei ihr nicht penetrieren zu wollen".

Was Marias Vermögen aus15 ½ Jahren als Dienstmagd an verschiedenen Orten betraf, konnte - gegen ihre eigene Angabe - festgestellt werden, dass ihr noch 9 ½ Gulden Liedlohn, also Arbeitsentgelt, bei ihren ehemaligen Dienstherren zustanden und sie bei ihrem Stiefbruder Michael Schanzenbacher zu Pfedelbach 40 Gulden mütterliches Erbe zu beanspruchen habe, sonst aber lediglich das besitze, was sie im Gürtel mit sich trage.

Weitere Auskünfte brachten zutage, dass ihr Vater Hans Röhelin Schuhmacher in Waldbach war und nicht viel geschafft, sondern sowohl im ledigen wie im Ehestand in der Nachbarschaft und außerhalb des Fleckens bei Tag und Nacht viel gestohlen habe. Er war für seine Diebestouren und Bubenstücklein bekannt und galt im Dorf als Hexenmann und Zauberer. Mit seiner Frau, ebenfalls einer in Ruf stehenden Hexe, habe er, wie man wisse, nur diese ungeratene Tochter gezeugt. Schließlich sei er dann in Weinsberg ins Gefängnis gekommen und dort mitten im Dreißigjährigen Krieg als Hexer gerädert und verbrannt worden.

Maria also, die Tochter dieses Hans Röhlin, bzw. Rehlin oder Rehelin, meist Hans Reh genannt, verbrachte 56 Tage im Weinsberger Frauengefängnis, wurde mehrfach verhört, teilweise peinlich, also unter Folter, aber schließlich konnte diese einfache, einfältige, kranke Frau über das, was man von ihr hören wollte, nicht mehr sagen, als was sie wusste, nämlich nichts. Was blieb ihr übrig gegen all die Fragen, die nur das eine unterstellten: Schadenszauber, Teufelsbuhlschaft, Fliegen mit der Gabel, schwarze Magie, Abfall vom Glauben, kurz: Hexerei? Sie konnte sich nicht anders wehren als mit hexereiverdächtigen Tobsuchtsanfällen oder bloßem Verstummen, was ihr dann erschwerend als Verstocktheit ausgelegt wurde.

Wie lässt sich aus heutiger Sicht Marias teilweise rätselhaft erscheinendes, ja erschreckendes Verhalten deuten? In den Protokollen ist mehrfach von Fallsucht die Rede, also von Epilepsie. In der psychiatrischen Fachsprache heißt sie Grand-mal, das große Übel, ja das große Böse. Woher konnte demnach dieses damals unerklärliche, für Betroffene wie Zuschauer gleichermaßen schreckliche Krampfleiden kommen? Für die abergläubischen Gemüter nur vom Bösen selber, vom Teufel! Während Hippokrates in der Antike diese Krankheit noch auf einen Gehirndefekt zurückführte, hat man sie im christlichen Mittelalter dämonisiert, und damit waren die armen Epileptiker doppelt gestraft. Maria hatte rezidivierende, also wiederkehrende Anfälle, ihre tierisch anmutenden Initialschreie haben die Pfedelbacher Kinder in der Schlafkammer erschreckt. Dass sich Maria an den Auslöser ihrer nächtlichen Entfernung aus der Kammer in den Garten nicht mehr erinnern kann, lässt auf eine psychosomatische Erinnerungslücke, auf Amnesie schließen. Dazu passt auch der für Grand-mal typische Zungenbiss und vor allem der anschließende ungewöhnlich lange Schlaf, Terminalschlaf genannt, als postkonvulsivische Erschöpfung. Marias anfängliche Schutzbehauptung, sie sei von einem Mann verfolgt worden, passt erstens nicht zur Erinnerungslücke, und zweitens hat sie diese Ausrede später vermutlich fallen lassen, denn sie spielte bei den weiteren Untersuchungen keine Rolle mehr. Die Frage, wie Maria um Mitternacht aus dem verschlossenen Haus in einen ebenfalls verschlossenen Nachbargarten gelangen konnte, lässt sich aus den Akten nicht mehr rekonstruieren.

Wie hätten nun die Herren in Weinsberg und Stuttgart entscheiden sollen? Immerhin hatte Maria keinerlei Schaden angerichtet. Niemand hätte eine berechtigte Klage gegen sie vorbringen können. Nach der letzten "Examinatio" am 3. Februar schlägt der Vogt "hochfürstlichen Gnaden" in Stuttgart vor, dass "Maria Reehin ohne weitere Execution auf freyen Fuß gestellt" werden solle, freilich nicht ohne "auf deren ferneres Thun und Lassen ferner genaue Achtung" zu geben, um sie nicht wieder in Haft nehmen zu müssen. Der herzogliche Oberrat - vertreten durch die Herren von Stok, von Hunoltz, Goll, Doktor Rümelin, Doktor Hasenhoff und Doktor Demon - ließ sich davon überzeugen, übernahm die vorgeschlagene Argumentation und ordnete die Freilassung unter den genannten Bedingungen an. So wurde der Hexenprozess ergebnislos abgebrochen. An Schadensersatz oder gar Schmerzensgeld dachte vermutlich noch nicht einmal Maria selber, geschweige denn einer ihrer Richter.

Wohin Maria danach entlassen wurde oder wo sie hinging, wissen wir nicht. Da Maria unter Beobachtung stand, kann man vermuten, dass sie nicht, wie in anderen Fällen üblich, ausgewiesen wurde, sondern vielleicht bei ihrem Stiefbruder Michael von ihrem ersparten Lohn und mütterlichen Erbe ihr Dasein fristen durfte.

Wichtig war den mit dem fruchtlosen Inquirieren und Spekulieren befassten Behörden nur noch die eine Frage: Wer bezahlt das Ganze? Alles in allem kostete dieser Prozess "samt nothwendigem Bothenlohn" 14 Gulden, 34 Kreuzer. Die Herzogliche Justizbehörde kam nach eigenem Gutachten nicht in Frage und wälzte die Unkosten ab, indem sie den Weinsberger Vogt aufforderte, sie beim hohenlohischen Pfedelbacher Kameral- und Amtsvogt Heinrich von Olnhausen einzutreiben, war doch die Beschuldigte in seinem Amtsbereich aufgewachsen, auch wenn ihr Vater aus Waldbach stammte und sie sich dort zuletzt in Diensten befand.

Dieser adlige Herr fand freilich allerlei Ausflüchte und wollte sich auch nach wiederholten Mahnungen nicht aufs Eintreiben oder gar Bezahlen verstehen. Am 8. Oktober 1671 wurde er aufgefordert, die durch Marias Verschuldung verursachten Unkosten von ihrem ausstehenden Lohn und Eigentum einzutreiben. Aber noch im Februar 1672 beschwerte sich der Nachfolger Waldeisens, der neue Weinsberger Vogt Schickhardt, beim württembergischen Herzog über den Pfedelbacher Vogt, dass dieser die Unkosten der Haft nicht bezahlen wolle. Im Streit ums Geld, das die menschenverachtende Hexenverfolgung gekostet hatte, gingen die lauten und leisen Hilfeschreie Maria Rehs im Dunkel unserer Geschichte ungehört unter.

Stuttgarter Landesarchiv Baden-Württemberg, Kriminalakten, "Untersuchungsverfahren gegen Maria Reh von Waldbach wegen Hexereiverdachts". A 209 Bü 2072